Karin Fleischer (1943 - 2022)
Atemhebung, 2017
Es ist eine ungewöhnlich große Radierung, wie wir sie sonst nur von Chillida oder Tapiés kennen. Sie geht aus einer Tusche auf Japanpapier hervor, die Karin Fleischer bei einem Konzert im Münchner Liebfrauendom zu Gregorianik malte. In originaler Größe ist sie auf Kupfer übertragen, tief geätzt und mit Aquatinten belegt worden, damit die Figur nach dem Druck auf dem Somerset Bütten pastos aufliegt. Der Titel ATEMHEBUNG bildet die Aussage der Figur ab: beim Singen der Gregorianik nimmt man tief Atem, um darauf zu modulieren. Es ist auch ein Vorgang, den wir alle täglich mit jedem Sprechen machen, den wir beim Singen unserer Lieder selbst immer wiederholen. So wird die ATEMHEBUNG zu einem Sinnbild für ein ganz elementares unbewusstes Tun des Menschen.
Das inspirierende Konzert wurde in der Reihe des von Karin Fleischer 1998 initiierten Projekts ZwischenZeiten veranstaltet, mit der Choralschola aus Regensburg unter der Leitung von Rudolf Fischer. Die Künstlerin zeichnet bei Konzertaufführungen nach dem Gehör: „Ich verlieh der Bewegung von Energie, Klangfarbe, Richtung und musikalischem Ausdruck zeichnend Formen im Weiß des Blattes.“
Das stille Werk der Künstlerin aus Laaber im Landkreis Regensburg, bereits 2017 entstanden, ist ein kraftvoller Impuls in diesen außergewöhnlichen Zeiten, in denen der Atem ein uns alle bewegendes Thema ist. In ihrer reduzierten Zeichnung vermittelt das Blatt eine große Ruhe, mit der sie kraftvoll einen Moment des Durchatmens schenkt. „Ihre künstlerische Handschrift lässt zu, von der Form über das sinnlich Erfahrbare zum Transzendenten – und wieder zurück – zu gelangen und so die Wechselwirkungen zwischen Abstraktion und sichtbarer Welt zu erspüren“, schrieb Andreas Falkinger zur Ausstellung „… nicht ohne die Sinne!“ in der chiemgau-galerie augustin im Frühjahr 2020, bei der auch die Grafik ATEMHEBUNG im Blickpunkt der Betrachter mit Mund-Nasen-Schutz stand – eine Gegensätzlichkeit, die der Zeitspurensuche von Karin Fleischer einen besonderen Akzent gab.
Laaber, 2017
Radierung auf Somerset-Kupferdruckbütten / Tiefätzung und Aquatinten auf Kupfer
1 Farbe: schwarz, Handton
Blattgröße 70 x 158 cm
Neuerwerbung der Kunstsammlungen des Bistums Regensburg