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Michael Triegel (*1968)
„Persephone im Hades“

Prsephone im Hades Michael Triegel

Vor einer grünen Tapisserie sitzt eine Gliederpuppe, aufrecht in majestätischer Haltung, ihr hölzerner Körper in edlen Stoff gehüllt. Der bodenlange weiße Schleier wirft einen Schatten auf den Kopf ohne Gesicht. Die kantig gebogenen Finger der rechten Hand scheinen über einen Tierschädel auf ihrem Schoß zu streichen. Auf den Bohlen des Holzfußbodens liegt vor ihrem rechten, unter den in großzügigem Faltenwurf drapierten Stoffbahnen verborgenen Fuß ein aufgeplatzter Granatapfel.

Michael Triegel porträtiert 2009 in Mischtechnik auf Leinwand Persephone, die Königin der Unterwelt, thronend in den herrschaftlichen Gemächern des Hades: ein faszinierendes Stilleben, kraftvoll ästhetisch komponiert zum Inbegriff von lebensspendender Macht und dem Tod als Übergang in eine unvorstellbar andere Form der Existenz.

Michael Triegel PersephoneDie Intensität von Triegels Werken berührt und zeigt so, dass die wirklichen Fragen trotz und mit unserer aufgeklärten Gedankenwelt, dem Wissen, Fortschrittsglauben und all dem leistungsorientiert Erreichten geblieben sind: die Fragen und Hoffnungen zu Geburt, Kind sein, Eltern sein, Glück, Liebe, Einsamkeit, Altwerden, Tod und Trauer. Es ist die Auseinandersetzung mit den Urerfahrungen der Menschheit, mit den unanschaulichen Archetypen, die wirkmächtig in symbolischen Bildern erfahrbar werden können.

„Persephone im Hades“ greift das Urbild der großen Mutter auf. Der Mythos ist eine Geschichte von Schmerz und Sehnsucht, Neubeginn und Vergänglichkeit. Hades, der Gott der sonnenlosen Unterwelt, verliebt sich in die Tochter seines Bruders, des Göttervaters Zeus. Mit seiner Hilfe entführt er Persephone. Ihre Mutter, die Erdgöttin Demeter, erfährt nach rastloser Suche vom Schicksal des jungen Mädchens und dem Verrat ihres Mannes. In ihrer Trauer und Empörung verlässt die Fruchtbarkeitsgöttin den Olymp. Das Land verödet. Zeus willigt schließlich ein, dass die Tochter das Totenreich wieder verlassen könne – unter der Bedingung, dass sie dort bisher gefastet habe. Ein Denunziant namens Askalaphos aber behauptet, Persephone habe vier Kerne eines Granatapfels gegessen. Hades und Zeus handeln einen Kompromiss aus: Persephone verbringt zukünftig vier Monate als mächtige Totengöttin in der Unterwelt bei ihrem Gemahl und die anderen beiden Drittel des Jahres bei ihrer Mutter. Fortan wird ihr Wechseln zwischen Diesseits und Jenseits zu einem Symbol der Jahreszeiten. So erblüht die Natur, wenn Persephone im Frühjahr auf die Erde kommt, und erstirbt, wenn sie wieder in das Schattenreich hinabsteigt.

Persephone lehrt, den Zyklus von Leben und Tod zu akzeptieren, und steht damit in zweifacher Hinsicht für Werden und Vergehen. Zum einen lässt die Göttin des Wachstums als Wandlerin zwischen den Welten die Vegetation keimen und ruhen, zum anderen vereint sie als Frau in sich die Aspekte des jungen unschuldigen Mädchens (Kore) sowie der Herrscherin über die körperlosen Schatten der Verstorbenen, die selbst zum Leben zurückkehren kann.

Michael Triegel gibt Persephone auf seinem Gemälde kein Gesicht, verweigert sowohl den Ausdruck der geraubten jungfräulichen Göttin als auch der gereiften Frau an der Seite von Hades, „dem Unsichtbaren“. Die Puppe mit gelenkig gelagerten Gliedern, die Künstlern in ihrem Atelier Bewegungsstudien ermöglicht, wird für den Maler hier Modell. Sie ist interpretierbar, alles ist lesbar in ihren mit dem Schnitzmesser geglätteten Zügen. Der weiße Schleier der Braut verhüllt den Kopf nicht zudringlichen profanen Blicken. In der fast lebensgroßen Darstellung kann der Lichtschein, der über dem ovalen Puppenkopf liegt, dem Betrachter zum Spiegel werden.

Die hoheitsvolle Körper- und Handhaltung aber weisen Persephone als Fürstin ihres Reiches aus, als Königin unter der Erde. Das weich fließende Gewand ist aus feinem Stoff in der Erdfarbe Ocker, dem Webfarbton „goldenrod“, gewirkt. Insigniengleich ruht auf dem beschützenden Schoß der Herrscherin im Totenreich ein Tierschädel, ein Spiel mit dem künstlerisch-religiösen Motiv der Vanitas.
Im Vordergrund zieht als Reichsapfel und Attribut der Persephone eine aufgesprungene Grenadine mit ihren saftig roten Fruchtkügelchen in der lederzähen Schale den Blick an, gerade so als wäre er nach griechischen Sitte als Symbol der Fruchtbarkeit vor der Braut auf den Boden fallen gelassen worden. Der Granatapfel wird bereits von Salomon besungen und zum Symbol des Lebens und der Liebe: „Dem Riss eines Granatapfels gleicht deine Schläfe hinter dem Schleier“ (Hohes Lied 4,3). Als Symbol der Unsterblichkeit wurde er den Pharaonen mit ins Grab gegeben. Dem Mittelalter galt er als Sinnbild für die Auferstehung Christi.

Michael Triegel nimmt das Motiv des Granatapfels in seinem Bildhintergrund wieder auf. Das „umgebogene Ornament des Blütenstempels“, wie es Rainer Maria Rilke beschreibt, ziert das nach oben rankende vegetabile Muster der dunkelgrünen Wandbespannung. Das stilisierte Pflanzendekor erinnert an das „Zwiebelmuster“ der Meißener Porzellanmaler, für das der Granatapfel als „gesegnete Frucht“ schon Ausgangsmotiv war. Persephone als scheinbar leblose Puppe ist umgeben von Zeichen des fruchtbaren, wachsenden Lebens.

Es sind diese Brechungen, mit denen Michael Triegel herausfordert, seine Anfragen hinter der glatten Oberfläche seiner Lasuren. Keines seiner Werke hinterlässt den Eindruck eines schon längst gesehenen. Er ist ein Maler des 21. Jahrhunderts, der den Betrachter mit Zitaten alter Meister, großer Stilepochen, mit sinnlichen Figuren und der Schönheit der Bilder in die Vergangenheit entführt und ihm hinter den Kulissen die nackte Menschlichkeit und die Sinnfragen des Heute spiegelt.

Dr. Maria Baumann

Persephone im Hades
2009
Mischtechnik | Leinwand
120 x 60 cm
Privatbesitz

Zu sehen in der Ausstellung “Wirklich? Michael Triegel – Malerei und Arbeiten auf Papier“ vom 16. April bis 20. Juni 2010 im Museum St. Ulrich, Domplatz 2, in Regensburg.