Gotische Hausmadonna
Die thronende Maria mit Kind lässt sich überzeugend einer bestimmten Stilphase der Regensburger Domwerkstatt um 1330/35 zuordnen. Das Bildwerk war ursprünglich eine Hausmadonna und mit der rückwärtigen Platte wandbündig eingemauert. Das betreffende Haus, im Kern mittelalterlich, gehörte ehemals zum Adeligen Damenstift Obermünster. Seit einem barocken Umbau stand die Skulptur in einer Außennische des Gebäudes, bis der heutige Besitzer diese bedeutende gotische Hausmadonna ins Museum gab und an deren Stelle einen Abguss anbrachte.
Das Original hatte im Laufe der Jahrhunderte etwa 20 Übermalungen erhalten und die Feinheiten der Bildhauerarbeit waren völlig verschlemmt. Die Freilegung im Zuge der Restaurierung wurde so zu einer kleinen Entdeckungstour und brachte ein qualitätvolles mittelalterliches Kunstwerk mit großen Teilen der originalen Farbfassung zum Vorschein.
Die Gottesmutter sitzt auf einer maßwerkverzierten Thronbank, die Füße auf einer Naturplinthe. Die schlanke Gestalt trägt ein körpernah gegürtetes Untergewand, einen weitläufig ornamental drapierten Schultermantel und einen Kopfschleier. Der weite blanke Hals, das jugendlich schöne Gesicht, die Pracht der Haare und der zierliche Kronreif bieten sich offen dem Auge dar. In der Linken hält Maria nach Art eines Szepters einen Rosenzweig, ein vielschichtiges Mariensymbol. Keimzelle ist das alttestamentliche Bild von der Wurzel Jesse, dem Stammbaum für die Hauptpersonen der Heilsgeschichte, aus welchem Maria als Blütenspross hervorging.
Zur Rechten auf ihrem Schoß präsentiert die Gottesmutter den Jesusknaben. Er ist schon deutlich über das Säuglingsalter hinaus, trägt ein langes Gewand und scheint mit überkreuz angezogenen Beinen halb stehend halb sitzend sich auf dem Oberschenkel Mariens abzustemmen, zugleich aber auch in der mütterlichen Bettung von Hüfte und Hand geborgen zu sein. Diese Ambivalenz zwischen Kind und Knabe klingt auch im Haupt Jesu an. Aus den weichen Rundungen der Gesamtform spricht das Kindliche, die lockige Pagenfrisur, die markanten Züge um Augen und Nase und überhaupt die spontane Regung des Kopfes verraten die aufkeimende Aktivität des Knaben. In den Händen ist dieses innere Wechselspiel als gegenläufiges Bewegungsmuster besonders klar angelegt. Die Rechte ruht entspannt im Schoß, während die Linke nicht ohne erkennbare Mühe einen großen Vogel am Flügel festhält und ihn der Mutter vor die Brust reicht. Eine bestimmte Vogelart ist nicht erkennbar, gemeint ist aber wohl der Stieglitz, ein beliebtes Symbol in der mittelalterlichen Kunst, vielsagend gerade bei Bildern der Muttergottes mit Kind. Der Vogelgesang galt allgemein als Lob Gottes der Natur. Die bevorzugte Nahrung des Stieglitz, der Samen der Mariendistel, galt als Verweis auf die Heilskraft Mariens, denn diese Pflanze war als Heilkraut hochgeschätzt. Selbstgezähmte Vögel waren auch ein gängiges Kinderspielzeug, andererseits war vornehmlich der Stieglitz ein beliebtes Zeichen für die Zuneigung der Liebenden und auch Symbol für eine mystische Vermählung. So zeigt sich also der kleine Jesusknabe bei unserer Madonna schon als der zukünftige mystische Bräutigam Mariens. Und umso sinnträchtiger erscheint es, wenn der Vogel gerade vor dem Herzen Mariens seine Flügel aufspannt.
Um 1330/35
Kalkstein, mit Resten der Erstfassung
H 79 cm, B 55 cm
Leihgabe: Heinz Haber, Regensburg
(Inv.-Nr.: 1979/68)
zu sehen im Museum St. Ulrich
„Steh auf, meine Freundin, meine Schöne, so komm doch!“ (Hohes Lied 2,13)
Das Fest Mariä Namen wird als katholischer Gedenktag am 12. September gefeiert. Papst Innozenz XI. führte es 1683 zum Dank für den Sieg über die Türken vor Wien allgemeinverbindlich ein. Vorher feierte man den Namenstag der Gottesmutter am 8. September: Mariä Geburt.