"Schmerzensmann" von Walter Zacharias (1919-2000)
Ein kleiner Kasten aus grob geschreinertem Holz, darin ein kopfgroßes Stück Baumstamm mit einem Kronreif aus einem alten Hanfseil. Zwei große Astanschnitte am Stamm schauen wie magische Augen aus der offenen Türe. Die Bauelemente dieses Objekts sind so einfach, dass von ihnen etwas Irritierendes ausgeht, aber im selben Zuge auch eine tiefe unterbewusste Faszination.
Walter Zacharias arbeitete in seinen späten Jahren bevorzugt mit altgewordenen Dingen, Werkstücken aus Holz oder Eisen, scheinbar wertlos Gewordenem und Weggeworfenem. Diese Dinge sind deutlich von ihrer jeweiligen Lebensgeschichte gezeichnet und könnten diese auch erzählen, wenn wir nur etwas aufmerksamer zuhören als gewöhnlich. Zacharias bringt die schlichte Schönheit der alten Dinge wieder zum Sprechen. Sie sind für ihn Zeugen einer heute fast verschütteten Welt, eines in tiefer bäuerlicher Volksfrömmigkeit verwurzelten Lebens im bayerischen Vorwald, wo das Holz als Werkstoff zu Hause ist und auch der Künstler seine innere Heimat hatte.
Zacharias war ein unermüdlicher Sammler von solchen Fundstücken einer scheinbar verlorenen Zeit, ein "Spurensicherer". Aber er beließ es nicht bei der Beschwörung der besonderen Aura dieser Dinge. Er hörte nicht nur ihre ferne Botschaft, er nahm die Dinge in die Hände und arbeitete mit ihnen. Aus dem Erkennen einer alten Form entsprang eine Idee, er suchte, kombinierte und verdichtete sie mit anderen alten Dingen, fügte Neues hinzu und schuf daraus etwas so noch nie Dagewesenes, ohne das Alte aufzugeben.
Bei seinem Objekt "Schmerzensmann" wurde ein bescheidenes Schränkchen zu einem Schrein für Christus. Es erinnert an die oft wettergegerbten Tabernakelhäuschen am Rande von Kalvarienbergen in freier Natur. Und der Christuskopf selbst ist ein Stück reine Natur. Die abblätternde Rinde des Baumstammes steht für die geschundene Haut. Aus den groß aufgesperrten Augen der Astschnitte spricht Angst. Die Angst dessen, der in diesem Gehäuse Schutz suchen will, aber auch unser eigenes Erschrecken vor dem plötzlichen Aufscheinen eines Natur-Gesichtes, das uns Christus als Schmerzensmann vor Augen ruft. Das offenstehende Türchen gewährt nur einen halben Blick, die Tiefendimension dieses Tabernakelgehäuses ist für uns nicht auszuloten, das Mysterium der Allgegenwart des Göttlichen in der Natur ist für uns nicht greifbar. Türen als Bindeglieder zwischen außen und innen, zwischen unserer Welt und dem was dahinter liegen mag, sind ein eigenes großes Thema im Lebenswerk von Walter Zacharias.
"Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. ... durch seine Wunden sind wir geheilt" (Js. 53, 4-5)
Regensburg, 1996
Holz, Hanfseil
H 48 cm, B 33,7 cm, T 23,7 cm
Zu sehen in St. Ulrich
im Rahmen der Ausstellung "Christus. Das Bild des unsichtbaren Gottes"