"Der Gute Hirt" von Johannes Potzler (*1957)
In der Figur des Guten Hirten sind im Verlauf der Zeit vielschichtige Bezüge und Traditionen verschmolzen: die uralten Vorstellungen vom Hirten als König, mythologische Gestalten und Tugend-Personifizierungen der Antike und die reichen Überlieferungen des Alten wie des Neuen Testaments. Dem Höhepunkt des Hirtenbildes im 10. Kapitel des Johannesevangeliums mit seiner Vergegenwärtigung des Todes (Joh. 10,11) und Verheißung ewigen Lebens (Joh. 10,28) kann man im Sinne der typologischen Betrachtung die großartige Schau des Propheten Ezechiel (Kap 34) zur Seite stellen, die die Metaphorik des Evangelisten vorwegnimmt und in eine Vision des messianischen Reiches mündet.
Wie Johannes stellt Ezechiel die Ruchlosigkeit des schlechten Hirten dem Wirken des guten Hirten gegenüber. Eindringlich schildert er die Not der vernachlässigten Herde, die einem verantwortungslosen Hirten ausgeliefert ist. Das Wirken des guten Hirten wird dagegen zum Gleichnis des göttlichen Heils: "Die verlorengegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten. Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist." (Ez. 34,16).
Die sehr beliebten und zahlreich erhaltenen Darstellungen des Guten Hirten im 19. Jahrhundert erschöpften sich all zu oft im Charakter des Idyllischen in anmutiger Landschaft. Johannes Potzler hat in seiner Bronzeplastik die Gestalt des Guten Hirten von allem schmückenden Beiwerk isoliert, um der uralten Würde der Hirtenfigur Rechnung zu tragen. Seine Konzeption des Themas, von dem stillen Ernst des Heilands und der Zuversicht des hinaufblickenden Tiers getragen, will auf den Grund des biblischen Wortes zurückführen.
"Ich werde meine Schafe auf die Weide führen, ich werde sie ruhen lassen" (Ez. 34,15)
München, 1995
Bronze
H 62 cm
(Inv.-Nr. 2004/2)
Zu sehen in St. Ulrich im Rahmen der Ausstellung
"Christus. Das Bild des unsichtbaren Gottes"