Theologische Sammelhandschrift in zwei Teilen
Die Handschrift umfasst zwei nach Inhalt, Entstehungszeit und wohl auch Skriptorium unterschiedliche Teile, die vermutlich erst in später Zeit zusammengebunden wurden – dem Einband zufolge spätestens im 16. Jahrhundert, als sie im Zug der Reformation in die Regensburger Stadtbibliothek kamen. Der ältere, aus der Frühzeit des Prüfeninger Skriptoriums stammende Teil (fol. 1-110) mit Texten des Kirchenvaters Hieronymus (gest. 419/420) entstand in den ersten Amtsjahren des Abtes Erbo I. (1121-1162). Den zentralen Teil der jüngeren, theologischen Sammelhandschrift (fol. 111-229) bilden drei am Anfang stehende, dogmatisch-mystische Hauptwerke des franziskanischen Ordensgenerals Bonaventura (gest. 1274), das „Breviloquium“, das „Itinerarium mentis in Deum“ und das „Lignum vitae“, die als einzige mit figürlich ausgestalteten, stilistisch am Beginn der hochgotischen Phase der Regensburger Buchmalerei stehenden Initialen ausgezeichnet sind. Auch diese Handschrift gehörte nach ihrer Erwähnung im Bibliothekskatalog von 1347 und einem Besitzereintrag des 15. Jahrhunderts (fol. 166r) dem Kloster Prüfening, doch ist sie ihrer Text- und Bildauswahl nach, zu der auch eine Darstellung des hl. Franziskus (fol. 178v) gehört, ursprünglich wohl in bzw. für einen franziskanischen Konvent entstanden. Die rote, vor Goldgrund gesetzte Initiale F(lecto) zum Prolog des am Beginn stehenden Breviloquiums (fol. 111r) bietet das Gehäuse für zwei Figuren, die blau-grüne Blattranken umschließen: Im oberen Register kniet der Apostel Paulus im Gebet – als Autor und zugleich als Illustration zu seinem Brief an die Epheser 3,14, den Bonaventura am Anfang seines Prologs zitiert: „Flecto genua mea ad patrem domini nostri Jesu Christi“ („Ich beuge meine Knie vor dem Vater unseres Herrn Jesus Christus“). Weniger klar ist dagegen die Identität der stehenden Bildfigur des jugendlichen Bischofs in pontifikalen Gewändern darunter, der in der Linken Stab und Buch trägt. Die übliche Deutung (Suckale 1987; Vetter 1988) als Klostergründer Prüfenings, den 1189 kanonisierten Bischof Otto von Bamberg (1102-1139), setzt die – allerdings fragliche – Entstehung der Handschrift für Prüfening voraus. Auch die jüngste Vermutung (Hernad 2000), in dem nimbierten Bischof ein Autorenbild des Bonaventura, seit 1273 Kardinalbischof von Albano, zu sehen, lässt Fragen offen: Das Bild wäre eine der frühesten Darstellungen des erst 1482 heiliggesprochenen Franziskaners überhaupt, die zudem auf die sonst üblichen Hinweise auf die Kardinalswürde (Kardinalshut) bzw. Ordenszugehörigkeit (Franziskanerhabit) verzichten würde. Albert Dietl
Foto: Bayerische Staatsbibliothek München
Prüfening, um 1125 und Regensburg, spätes 13. Jahrhundert
Pergament, I + 229 Blätter, H 22 cm x B 15,5 cm (Höhe Initiale 15,8 cm)
Historisierte Initiale mit Bild eines nimbierten Bischofs und des Apostels Paulus
München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 13102, fol. 111r
zu sehen ab 17. Oktober in der Ausstellung „Mönche, Künstler und Fürsten“ im Museum Obermünster