Peter Wittmann (geb. 1951)
Kreuzweg
In den Jahren 1978/79 erkrankte Wittmann in Nordindien an Kala-Azar, der schwarzen Krankheit, die sich durch eine 80%ige Todesquote auszeichnet. Im Jahr 1983 setzt sich der Künstlerintensiv mit seiner überwundenen Krankheit auseinander. “In einer Situation, in der der Körper soweit geschwächt, ja in Auflösung begriffen ist, erscheint mir das Kreuz als ein wie von selbst sich materialisierendes Bindeglied, Verbindung zwischen Ich und Körper, aber auch als Zeichen für eine Situation des Hinübergehens.”
Ab den frühen 80er Jahren entstehen Darstellungen des Gekreuzigten, die aber nur am unteren Fußende etwas vom Kreuz verraten. Die beiden Arme sind schon weit nach oben ins Jenseits erhoben. Der Strahlenkranz um das Haupt erinnert sowohl an die Dornenkrone als auch an einen Heiligenschein. Das Leiden steht nicht mehr im Vordergrund, vielmehr ist der Erlöser wiedergegeben. Derartige gekreuzigte Christusdarstellungen existieren in unterschiedlichsten Techniken und Formaten.
In den Jahren 1984, 86, 87, 88 entstehen diverse, fast lebensgroße Kreuzbilder, Arbeiten, die sich in drei Gruppen von Techniken zusammenfassen lassen. Eine erste Gruppe zeigt Monotypien auf Japanpapier, die auf eine Holzfaserplatte montiert und mit schweren Eisenrahmen eingefasst sind. Förmlich ist spürbar, was es heißt, sein Kreuz zu tragen, sein Kreuz auf sich zu nehmen. Die zweite Gruppe besteht aus Werken, die ein Kreuz in freier Malerei, Ölfarbe bzw. Kunstharz auf Transparentpapier, welches auf Leinwand montiert ist, zeigen. Die dritte Gruppe bilden die beiden letzten Bilder des Zyklus, nämlich Kunstharz auf Karton. Trotz ihrer monströsen, kreuzförmigen Größe zeichnen sich diese Werke aufgrund ihres Materials durch eine gewisse Leichtigkeit aus.
Wittmann hat für seinen Kreuzweg lateinische Kreuze gewählt. Als Proportionsschema für die Größen seiner Kreuze diente ihm das menschliche Maß. Wittmanns Kreuzweg ist in das Universum eingebettet. Die Natur wird im ersten Bild mit einbezogen, in Form des Blütenkreuzes. Das Kreuz der 5. Station deutet die Gestirne, nämlich Sonne, Mond und Sterne an. Unübersehbar ist auch die intensive Auseinandersetzung des Künstlers mit der ostasiatischen Schriftkunst. Seine Studien bei einem chinesischen Kalligraphielehrer im Jahr 1981 in Taiwan schlagen sich bei einigen Kreuzwegstationen deutlich nieder. Als Malutensilien dienen häufig ostasiatische Pinsel, die nur eine derartige Strichführung ermöglichen. Mit wenigen Strichen wird in den Arbeiten tiefer Raum suggeriert. Durch Kalligraphie wird Leben in das Bild gebracht. Die beiden letzten Stationen, die sich durch die besondere Gestaltung der Vierung auszeichnen, gewähren einen Blick ins Jenseits. Die hellen bzw. dunklen Gebilde erinnern an Wolken, der silbrige Schimmer gibt ein Abbild einer entschwebten Seele wieder. Beide Werke zeichnen sich durch eine gewisse Stille aus, das Leid ist überwunden. Das am Karfreitag zur Kreuzverehrung gesungene Bekenntnis “Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Hoffnung” trifft voll auf diese Werke zu.
Wittmanns Kreuze, die in zwei Haupttypen unterschieden werden können, nämlich der Gekreuzigte als Erlöser mit hochgereckten Armen ohne Kreuz bzw. Kreuze ohne Corpus, rein christlich zu interpretieren wäre viel zu eng. Die Arbeiten wollen viel umfassender verstanden werden. Sie sind geprägt von der Auseinandersetzung mit dem menschlichen Leid nicht nur persönlicher Art, sondern im Allgemeinen, das sich ganz unterschiedlich äußern kann, sei es in Krankheit, Krieg oder sämtlichen Kreuzungen, die das tagtägliche Leben bestimmen.
Franz Xaver Peintinger (Auszug aus dem Katalogbeitrag „Wittmanns Kreuze“)
Ohne Titel
1986/88
Monotypie, Kohle, Pastell, Öl, Schellack auf Japanpapier,
auf Holzfaserplatte, Eisenrahmen
123 x 63 cm
Zu sehen in der Ausstellung „KREUZWEGE. Werke von Berta Hummel, Johannes Potzler und Peter Wittmann. Zum 100. Geburtstag von Berta Hummel (1909-1946)“
bis 2. August 2009 im Museum Obermünster, Emmeramsplatz 1